6.4.5 Außerschulische politische Jugendbildung

Innerhalb der Kinder- und Jugendarbeit stellt die außerschulische politische Jugendbildung ein besonderes Praxisfeld dar. Obgleich politische Bildung in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit stattfindet, wird sie in der außerschulischen politischen Jugendbildung gleichsam in das Zentrum der Angebote und Einrichtungen, der Fachdebatten und Professionalität gerückt. Vertreten ist in diesem Praxisfeld ein breites Spektrum unterschiedlicher Träger, deren Mitglieder, Einrichtungen und kommunale Angebote, die politische Jugendbildung unter anderem in Bildungsstätten, Bildungswerken oder Volkshochschulen anbieten (vgl. als Übersicht: Deutscher Bundestag 2020, S. 332ff.).

Zentraler Ausgangspunkt der Diskussion um Beteiligung in diesem Handlungsfeld ist die Einsicht, dass „politische Bildung […] von echten Beteiligungserfahrungen [lebt]“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 567): „Partizipation in der Demokratie muss geübt und erfahren werden. Aber Beteiligung lässt sich nicht simulieren. Kinder und Jugendliche benötigen Bildungsangebote in Bildungsräumen, in denen sie wertgeschätzt werden und die sie ernsthaft mitgestalten können […]“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 567) – und das gilt selbstverständlich auch für die Angebote der außerschulischen politischen Jugendbildung. Beteiligung kommt deshalb im Kontext politischer Bildung besonderes Gewicht zu: „Partizipation bedeutet zum einen, dass die Angebote so offen gestaltet sind, dass die teilnehmenden Jugendlichen ihre Interessen, Anliegen und Bedürfnisse aktiv einbringen können und diese Berücksichtigung finden. Zum anderen ist Partizipation thematischer Kern außerschulischer politischer Bildung, um Jugendliche zur aktiven Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft zu befähigen. Dazu gehört das Kennenlernen von formalen und strukturellen Bedingungen eines demokratischen Zusammenlebens, das Einüben in gewaltfreie Formen der Auseinandersetzung, die Reflexion von Gestaltungswünschen und die Ermutigung zu aktivem Handeln und zu realen Beteiligungsaktivitäten. Es geht also darum, jungen Menschen Bildungsgelegenheiten zu eröffnen, die Selbstbildungsprozesse ermöglichen“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 344).

Die Herausforderungen angesichts dieses Anspruchs liegen oftmals im Setting beziehungsweise in der Zusammensetzung der Teilnehmendengruppen, den Angeboten und den vorhandenen Rahmenbedingungen in den Bildungseinrichtungen. So werden Angebote politischer Bildung, die meist auf einen kürzeren Zeitraum und Einmaligkeit angelegt sind, oft durch Gruppen, wie zum Beispiel Schüler*innengruppen oder aber auch von Gruppen aus offenen Ausschreibungen, besucht. Bei ersterer Gruppe liegt die Herausforderung darin, dass sehr schnell der schulische Charakter und die Verantwortung durch die Lehrperson aufgehoben werden müssen. Bei zweiterer Gruppenart liegt sie dagegen darin, dass die Gruppenmitglieder sich noch gar nicht kennen und in kürzester Zeit erreicht werden muss, dass sie als Gruppe aus der Kennenlernphase in eine Tätigkeitsphase kommen. Zugleich beschränken die meist begrenzten zeitlichen Horizonte nicht selten weitergehende und aufwändigere Beteiligungsprozesse.

Von den Fachkräften erfordert dies ein hohes Maß an Flexibilität. Sie sind zunächst gefordert als Anbieter eines außerschulischen nonformalen Bildungsangebotes. Nehmen sie dabei Beteiligung ernst, bedeutet dies, sich ernsthaft auf die jeweiligen und sich ggf. im Verlauf des Bildungsangebots verändernden Bedarfe und Interessen der Jugendlichen einzulassen und ggf. dementsprechend die eigenen Inhalte anzupassen. „In kurzen Formaten ist das eine größere Herausforderung als in mehrtägigen Veranstaltungen. In außerunterrichtlichen Kontexten können Jugendliche das Bildungssetting mit verändern, indem sie alternative Themen- und Methodenvorschläge einbringen, den Ablauf verändern, die Pausenzeiten mitbestimmen oder für ein bestimmtes Modul mehr Zeit einfordern, da Fragen verhandelt werden, die interessant sind und mehr Tiefe oder Aussprache benötigen“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 345).

Unterschiede bezüglich der Grenzen und Möglichkeiten von Beteiligung ergeben sich schließlich auch aus dem Angebot selbst (einen hilfreichen Überblick hierzu bietet Deutscher Bundestag 2020, S. 347ff.). Während z. B. von den Teilnehmenden selbst organisierte und gestaltete Projekte ein hohes Maß an Beteiligung ermöglichen, sind die entsprechenden Optionen bei vorgängig organisierten Studienfahrten oder durchgestalteten Kurs- oder Trainingsangeboten erkennbar geringer.

Zugleich gilt, dass gerade in dem Feld der außerschulischen politischen Jugendbildung Beteiligung – darauf hat der 16. Kinder- und Jugendbericht ausdrücklich aufmerksam gemacht – „als Struktur- und Bildungsprinzip eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für politische Bildungsprozesse [ist]. Die pädagogische Perspektive und damit die Frage, was Kinder und Jugendliche durch Partizipationserfahrungen lernen können, bleibt oftmals unterbelichtet […]. Partizipationserfahrungen müssen daher reflektiert und eingebettet sowie nach ihren Lernmöglichkeiten zur Ausbildung der politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit befragt werden, um Jugendliche dazu zu befähigen, ihre demokratischen Rechte in der Gesellschaft wahrzunehmen und zu verteidigen“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 568). Beteiligungsprozesse von Kindern und Jugendlichen fungieren vor diesem Hintergrund gleichzeitig als Anlässe und Chancen, Mitwirkung und Selbstwirksamkeit zu erfahren, wie auch gleichsam als Gegenstände der Reflexion und der Anregung intendierter politischer Bildungsprozesse.

Qualitätsstandards

  • In den Angeboten außerschulischer politischer Kinder- und Jugendbildung fungiert Beteiligung der Teilnehmenden als leitendes fachliches Prinzip sowohl in didaktischer als auch institutioneller Hinsicht. Die Bedarfe und Anliegen von Kindern und Jugendlichen werden aufgegriffen. So weit möglich werden die Angebote und Einrichtungen durch Selbstvertretungsgremien von Kindern und Jugendlichen (z. B. in Form von Kinder- und Jugendbeiräten) begleitet und beraten.
  • Die Beteiligungsprozesse sind ergebnisoffen und adressat*innengerecht angelegt. Beteiligung wird dabei nicht als etwas verstanden, dass Kindern und Jugendlichen gewährt wird, sondern sie wird als ihr Recht verstanden.
  • Es wird sichergestellt, dass gemeinsame Entscheidungen von Kindern und Jugendlichen getroffen werden und kooperative Lösungen gefunden werden können.
  • Zur Vorbereitung von Angeboten wird Zeit für die Planung und für Vorgespräche mit den jungen Menschen eingeplant. Die politischen Bildner*innen haben Zutrauen in die Kinder und Jugendlichen und gehen von ihrer Bereitschaft und ihren Kompetenzen aus, politische Bildungsprozesse mitzugestalten und sich zu beteiligen.
  • Die fachlichen Standards politischer Bildung – vor allem im Hinblick auf Kontroversität – werden im Rahmen der Beteiligungsprozesse gewährleistet.
  • In der Reflexion von Angeboten politischer Bildung wird den eingebetteten Beteiligungsprozessen von Kindern und Jugendlichen, ihren Rahmenbedingungen und Ergebnissen besondere Aufmerksamkeit zuteil.
  • Die verhandelbaren und insbesondere die nicht verhandelbaren Rahmenbedingungen und Inhalte für Beteiligung werden klar kommuniziert. Politische Bildner*innen begegnen den jungen Teilnehmenden mit einer offenen Grundhaltung und verstehen sich als Begleiter*innen und Impulsgeber*innen von Beteiligungs- und Bildungsprozessen.
  • Ein zentrales Thema außerschulischer politischer Bildung sind digitale Beteiligungsprozesse. Es werden digitale Räume eröffnet, die politische Bildung und Beteiligung unter den Bedingungen von Digitalität erfahrbar machen.