7.3 Beteiligung junger Menschen auf Bundesebene

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Bundesebene ist ein Thema, das seit einiger Zeit größere Aufmerksamkeit gefunden hat. Erheblich dazu beitragen haben vor allem politische Initiativen wie die Eigenständige Jugendpolitik und die Jugendstrategie der Bundesregierung. Diese Entwicklung wurde u. a. durch Schwerpunktsetzungen zum Thema Beteiligung der Interministeriellen Arbeitsgruppe Jugend im Rahmen der Jugendstrategie der Bundesregierung bestärkt. Hinzu kamen die wiederholten Positionierungen des Bundesjugendkuratoriums (2009, 2019, 2021) und andere Initiativen wie auch eine Reihe von praktischen Umsetzungsbeispielen, wie z. B. die JugendPolitikTage54, Bundesjugendkonferenzen und die Beteiligungsprozesse des DBJR55. Zu erwähnen ist dabei, dass Kinder- und Jugendbeteiligung auf Bundesebene insbesondere, aber nicht nur als Maßnahmen des Bundesjugendministeriums stattfinden, sondern zunehmend auch andere Ressorts eigene und unterschiedliche Beteiligungsangebote innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs entwickelt haben bzw. entwickeln.56 Nicht zuletzt haben auch Impulse im Rahmen der EU-Jugendstrategie wichtige Debatten angeregt. Gemeinsam haben diese Initiativen dazu beigetragen, dass Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Bundesebene zunehmend vorstell- und umsetzbar erscheint – trotz der unzweifelhaft erheblichen Lebensweltdistanz und den großen konzeptionellen und praktischen Herausforderungen –, z. B. in Bezug auf die Zugänge, die Repräsentativität der Teilnehmenden, die Verbindlichkeit und die Nachhaltigkeit der Beteiligungsprozesse. Mit einem Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung zur Weiterentwicklung der Jugendstrategie soll auch in der 20. Legislaturperiode ein Schwerpunkt auf die Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen gelegt werden.

Die Bundesebene bringt spezifische Herausforderungen und Anforderungen mit sich. Die auszuhandelnden Entscheidungsprozesse sind besonders komplex und nur indirekt individuell spürbar. Die konkreten Auswirkungen von Gesetzen, Vorhaben oder Maßnahmen auf die direkte Lebenssituation junger Menschen bleiben oft abstrakt und – nicht nur für junge Menschen – schwer zu vermitteln. Hinzu kommen häufig relativ lange Zeitläufe für einzelne Entscheidungsprozesse, was die für eine gelingende Beteiligung wertvolle Erfahrung von Selbstwirksamkeit erheblich erschwert. Umgekehrt sind die formalen Voraussetzungen für die Formate und Strukturen von Kinder- und Jugendbeteiligung auf Bundesebene in den meisten Bereichen bisher unverbindlich. Wirksame Beteiligung ist daher abhängig vom politischen Willen und dem vorhandenen Bewusstsein für die Vorteile und Stärken der Einbindung von jungen Menschen in sie betreffende Belange.

In den meisten Fällen, in denen Jugendbeteiligung auf Bundesebene zum Einsatz kommt, geht es – wie auch auf der Landesebene – nicht um die Mitwirkung an einer letztendlichen Entscheidung, sondern um Beratung und mitunter Begleitung, also um Formen konsultativer Jugendbeteiligung. Für die jeweiligen Beteiligungsformate ist damit die Aufgabe verbunden, die realen Einflusschancen und auch deren Grenzen von Anfang an transparent zu machen. Das entsprechende Beteiligungsformat muss daher nicht nur die Adressat*innen der Konsultationen identifizierbar und ihre Einbettung in Verwaltung und Politik nachvollziehbar machen, sondern auch dass es hierbei um die Vorbereitung und Beeinflussung von Entscheidungsprozessen geht, dass also der beratende Charakter im Mittelpunkt steht (vgl. Bundesjugendkuratorium 2019).57

Eine weitere Frage, die auf Bundesebene – wie auch auf den anderen föderalen Ebenen – von Bedeutung ist und meist nur schwer einzulösen ist, ist die nach der Legitimation. Wer wird in welchen Beteiligungsverfahren warum beteiligt, wer vertritt hier „die Kinder“ und „die Jugend“ und auf welcher Grundlage? Da man in Beteiligungsverfahren schon aus praktischen Gründen der Pluralität und Heterogenität der Lebenslagen, Interessen und Anliegen von Kindern und Jugendlichen immer nur näherungsweise gerecht werden kann, sind diese darauf angewiesen, jeweils den richtigen Mix an Teilnehmenden zu finden. Dabei liegt es nahe, neben den organisierten Interessenvertretungen und den Selbstorganisationen junger Menschen, also z. B. den Kinder- und Jugendverbänden und -ringen, zusätzliche, barrierefreie Zugänge zu eröffnen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass einerseits dieser Mix gelingen kann und dass andererseits die Möglichkeiten des Einbezuges von Kindern und Jugendlichen jenseits der organisierten Interessenvertretungen und den Selbstorganisationen noch nicht ausgereizt sind. Vor allem die Möglichkeiten der Kommunikation über digitale Kanäle und digitaler Konsultationen sind sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Verbunden ist damit aber in jedem einzelnen Verfahren die Notwendigkeit, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, wer jeweils einbezogen werden konnte, welche Perspektiven – aus welchen Gründen auch immer – nicht vertreten waren und wie diese beim nächsten Mal stärker berücksichtigt werden können.

Eine wichtige Voraussetzung für gelingende Jugendbeteiligung und ein gutes Verhältnis zwischen Jugend und Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung – das zeigen alle vorliegenden Erfahrungen und Auswertungen – ist eine jugend- und adressat*innengerechte Kommunikation, die als dialogorientiertes und partnerschaftliches Miteinander angelegt wird. Dazu gehören auch die Weiterentwicklung und der Ausbau barrierefreier digitaler Beteiligungsangebote, um jungen Menschen vielfältige Zugänge zu Mitwirkung mit Wirkung zu ermöglichen.

Die letzten Jahre waren geprägt von einer merklichen und ressortübergreifenden Zunahme an unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen auf Bundesebene und einer zunehmend intensiveren Debatte zur Notwendigkeit – nicht nur im Horizont der UN-Kinderrechtskonvention – der Beteiligung junger Menschen auf Bundesebene und dafür geeigneter Strukturen, Verfahren und Bedingungen. Als eine wichtige Erfolgsbedingung erwiesen sich dabei begleitende und unterstützende Strukturen sowie eine mitunter durchaus aufwändige Vorbereitung aller Beteiligten wie auch eine systematische Auswertung der Erfahrungen.

Viele Beteiligungs- bzw. Konsultationsformate auf Bundesebene sind bislang verfahrens- und themenbezogen angelegt. Das gilt auch für Formate, für die sich ein gewisser Rhythmus abzeichnet – wie z. B. die JugendPolitikTage, die alle zwei Jahre stattfinden. Um diesen Abstand zu verringern und eine kontinuierlichere Beteiligung zu ermöglichen, finden Bundesjugendkonferenzen als etwas kleineres Format zwischen den JugendPolitikTagen statt. Darüber hinaus wird zu erproben sein, welche Formate (z. B. in Form der Erweiterung vorhandener Gremien) geeignet sind, altersgerecht jungen Menschen eine stärkere Kontinuität der Beteiligung zu ermöglichen.

Eine wichtige Voraussetzung für gelingende Jugendbeteiligung und ein gutes Verhältnis zwischen Jugend und Politik ist zudem eine jugendgerechte Kommunikation, die nicht als „Einbahnstraße“, sondern als dialogorientiertes und partnerschaftliches Miteinander zwischen jungen Menschen und politischen Akteuren gedacht werden muss. Dazu gehören auch die Weiterentwicklung und der Ausbau digitaler Beteiligungsangebote, um noch mehr jungen Menschen auch gezielt weitgehend barrierefreie Mitwirkung mit Wirkung zu ermöglichen.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Bundesebene bedarf nicht nur der Bereitstellung eines möglichst breiten Spektrums vorhandener Beteiligungsformate und Zugänge und der Einbeziehung erfahrener Akteure und Interessenvertretungen junger Menschen auf Bundesebene, sondern auch der inhaltlichen und zielgruppengerechten Weiterentwicklung der institutionellen Voraussetzungen, der Verfahren, Strukturen von Beteiligungsprozessen, ggf. auch deren Verstetigung, und deren Einbettung in die Bundespolitik und -verwaltung. Bei der Diskussion um Qualitätsstandards muss dies berücksichtigt werden.

Qualitätsstandards

  • Beteiligungsprozesse junger Menschen auf Bundesebene machen von Beginn an transparent, welche Funktion der Beteiligungsprozess hat, wie er in die politischen und administrativen Prozesse eingebettet ist und wie das weitere Verfahren sein wird.
  • Es bedarf alters- und lebenslagenbezogen angemessener Formen der Ansprache, der Kommunikation und des Dialogs. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei auf die Nutzung sowie Weiterentwicklung barrierefreier digitaler und anderer inklusiver Angebote zu legen.
  • Beteiligungsprozesse junger Menschen auf Bundesebene werden unterstützt und organisiert durch eigenständige Servicestellen und/oder in Kooperation mit geeigneten Trägern und Interessenvertretungen von Kindern und Jugendlichen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpolitik bzw. -hilfe.
  • Kinder und Jugendliche, die an Beteiligungsprozessen auf Bundesebene teilnehmen, werden im Vorfeld alters- und lebenslagengerecht informiert, vorbereitet und begleitet.
  • Beteiligungsprozesse auf Bundesebene mit Kindern und Jugendlichen werden systematisch ausgewertet und weiterentwickelt. Neben der Frage der Angemessenheit des Verfahrens und der Rahmenbedingungen gilt es zu prüfen, inwieweit es gelungen ist, die Pluralität der Interessen und Anliegen von Kindern und Jugendlichen sichtbar zu machen.
  • Beteiligungsprozesse junger Menschen auf Bundesebene sind eingebettet in ressortbezogene und ressortübergreifende Qualitätsentwicklungsprozesse. Es besteht ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch mit erfahrenen Akteuren für Beteiligung und Interessensvertretungen junger Menschen auf Bundesebene.

54 Vgl. z. B. https://jugendpolitiktage.de/

55 Vgl. https://www.dbjr.de/themen/beteiligung

56 Vgl. z. B. Das Umweltministerium setzt im Kontext seiner Programme und Regelwerke zahlreiche Beteiligungsprozesse um, z. B. die Begleitung der Jugendstudie durch einen Jugendbeirat. Im Kontext Nachhaltige Entwicklung im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung arbeitet das Jugendforum youpaN (https://youpan.de/), in dessen Mittelpunkt das Thema nachhaltige Entwicklung steht; die Webdays ermöglichen als jährliche Konferenzen im Bereich des digitalen Verbraucherschutzes den Austausch und die Vernetzung zwischen Jugend und Politik. Ein weiteres Beispiel liefert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das einen Jugendbeirat ins Leben gerufen hat, in dem junge Menschen zwischen 14 und 22 Jahren das BMZ bei der Gestaltung der Entwicklungspolitik beraten (vgl. https://www.kinder-und-jugendrechte.de/im-fokus/jugendpartizipation-in-der-entwicklungspolitik/mehr-beteiligung-im-bmz-durch-einen-jugendbeirat). 

57 In diesem Sinne arbeitet etwa das Projekt JugendPolitikBeratung, das Bundesministerien bei der Entwicklung geeigneter Beteiligungsformate zur Verfügung steht. Hierbei geht es um Formate der konsultativen Jugendbeteiligung bei denen junge Menschen in die Vorbereitung von politischen Entscheidungsprozessen eingebunden und die artikulierten Belange bestmöglich berücksichtigt werden sollen: https://jugendpolitikberatung.de/..