7.2 Beteiligung junger Menschen auf Landesebene

Für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist die Ebene der Bundesländer in zweifacher Weise von Bedeutung.48 Erstens setzen die Bundesländer wesentliche Rahmenbedingungen für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Am sichtbarsten wird dies an dem Umstand, dass in mehreren Bundesländern Jugendliche ab 16 Jahren berechtigt sind, bei der Landtagswahl ihre Stimme abzugeben.49 Für Kommunalwahlen gilt in weiteren Bundesländern die aktive Wahlbeteiligung ab 16 Jahren. Darüber hinaus spielen die Bundesländer insofern eine zentrale politische Rolle, als – wie bereits erwähnt – auf ihrer Ebene die Gemeinde(ver)ordnungen und Kommunalverfassungen formuliert und damit die formalen Möglichkeitsräume für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen definiert werden (vgl. Abs. 7.1). In einigen Bundesländern wird in diesem Zusammenhang die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene durch Servicestellen, Dachverbände und Internetplattformen unterstützt und gefördert.50 Zu Teilen handelt es sich dabei auch um Aktivitäten der Landesjugendringe.51 Darüber hinaus haben heute fast alle Länder Kinderrechte in ihren Verfassungen festgeschrieben oder dort hervorgehoben, dass Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen. Beteiligungsrechte können hieraus jedoch meist nur mittelbar abgeleitet werden (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk e. V., 2019). Nicht vergessen werden sollte schließlich, dass die Aufsicht über die (teil-)stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe von den Bundesländern bzw. einer von ihnen festgelegten überörtlichen Behörde verantwortet wird – und damit auch die Überprüfung, ob die Beteiligungsrechte in den Einrichtungen eingelöst werden. Dass die Bundesländer an dieser Stelle auch wichtige Impulse in Sachen Beteiligung auf Landesebene geben können, hat jüngst ein Positionspapier der AGJ zur „institutionalisierten Beteiligung und gelebter Beteiligungskultur auf Landesebene für junge Menschen in stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe“ (AGJ 2020) deutlich gemacht.

Neben diesen für Beteiligung wichtigen, Rahmen setzenden Momenten sind zweitens die Bundesländer, ihre Verwaltungen und Parlamente selbst Adressaten von Beteiligungsprozessen.52 Zu nennen in diesem Zusammenhang ist z. B. eine Reihe formeller Anhörungs- und Beteiligungsmöglichkeiten und -verfahren (z. B. im Zusammenhang mit Raumordnungsverfahren), die sich meist vorrangig, wenn auch nicht explizit und exklusiv, an Erwachsene wenden und in ihrer Umsetzung meist wenig altersgerecht auf Kinder und Jugendliche und ihre Anliegen ausgerichtet sind. Daneben werden in den meisten Bundesländern die Akteure der zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie der Kinder- und Jugendarbeit auf Landesebene (z. B. in Form der Landesjugendringe) sowie der selbstorganisierten Zusammenschlüsse (z. B. Landesschüler*innen, Heimräte) beratend oder – im Falle der Landesjugendringe – als Interessenvertreter*innen der Kinder- und Jugendarbeit und der jungen Menschen gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit einbezogen. Zusätzlich sind die regelmäßig stattfindenden und gesetzlich verankerten Landesjugendhilfeausschüsse ein Gremium für die Interessenvertretung junger Menschen durch die freien und öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe. In jüngerer Zeit lassen sich schließlich vor dem Hintergrund der bundesweiten Diskussion und erster beispielgebender Initiativen auf Bundesebene (z. B. in Form von audits, Bundesjugendkonferenzen, JugendPolitikTagen) einerseits und den während der Corona-Pandemie sichtbar gewordenen Problemen bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen andererseits verstärkt Bemühungen beobachten, Kinder und Jugendliche auch auf Landesebene eine Stimme zu geben (z. B. in Form von Jugendkonferenzen).53

Qualitätsstandards

  • Auf Landesebene bestehen verschiedene, auf Dauer gestellte und verbindliche Verfahren und Gremien, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen und ihre Interessen zu vertreten. Vorhandene Strukturen auf Landesebene sollten dabei gestärkt werden, Parallelstrukturen sind zu vermeiden.
  • Neben Selbstvertretungsgremien, die sich für die Anliegen und Interessen bestimmter Gruppen (z. B. Schüler*innen) engagieren und von dort aus mandatiert sind, gibt es auch offene und so weit wie möglich barrierefreie Beteiligungsformate, die im Prinzip allen Kindern und Jugendlichen zugänglich sind.
  • Die Auswahlverfahren zur Mitwirkung in den Gremien sind transparent und werden offensiv landesweit beworben. Entsprechende Informationsmöglichkeiten stehen zur Verfügung. Ziel ist es, ein breites und inklusives Spektrum der Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen für die Gremien zu gewinnen.
  • Mindestens über Vereinbarungen wird geregelt, wie die Beschlüsse der Beteiligungsgremien in den politischen und administrativen Raum kommuniziert werden, welche Verbindlichkeit der Befassung besteht und dass es Rückmeldungen über die Art des Umganges mit ihnen gibt.
  • Die Verfahren und Gremien werden durch Fachkräfte, eine Servicestelle bzw. bestehende Träger wie etwa Landesjugendringe oder andere Träger begleitet und unterstützt und verfügen über ein angemessenes eigenes Budget für diese Arbeit.
  • Die Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung erfolgt auch im Rahmen von landespolitischen Programmen und Strategien, die unter Mitwirkung der Interessenvertreter*innen von Kindern und Jugendlichen stets weiterentwickelt werden sollten.
  • Bereits bestehende Strukturen wie etwa die Kinder- und Jugendverbände, Jugendringe, Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit und die Schüler*innenvertretungen sollten bedarfsgerecht gefördert und ggf. ausgebaut werden. Wirksame Beteiligung benötigt dauerhaft angelegte Strukturen, Ressourcen und Unterstützung für (Jugend-)Engagement.

48 Es sei wenigstens am Rande angemerkt, dass zwischen der Kommunal- und der Landesebene in einigen Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen) es eine mittlere Ebene der staatlichen Verwaltung mit eigenen Regierungen gibt. Vermutlich führt diese föderale Besonderheit dazu, dass bis heute Fragen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf dieser Ebene kaum diskutiert werden. Der Sache nach wäre es Aufgabe der vier Bundesländer, auch diese Ebene unter Beteiligungsgesichtspunkten zukünftig stärker zu diskutieren.

49 In den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Brandenburg gilt Wahlalter 16 für die Landtagswahlen; in insgesamt elf Bundesländern dürfen 16- und 17jährige an Kommunalwahlen teilnehmen: Baden‐Württemberg, Schleswig‐Holstein, Mecklenburg‐Vorpommern, Sachsen‐Anhalt, Berlin, Nordrhein‐Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Thüringen.

50 Vgl. z. B. https://www.jugendbeteiligung-in-nrw.de/; https://www.kinder-jugendbeteiligung-sachsen.de/; https://www.mvmituns.de/; https://kinder-jugendbeteiligung-bw.de/; https://jugendgemeinderat.de/ http://www.mitbestimmen-in-berlin.de/ zum Überblick mit Stand Juli 2019: https://www.dkhw.de/fileadmin/Redaktion/1_Unsere_Arbeit/1_Schwerpunkte/2_Kinderrechte/2.25_Kinderrechte-Index_alle-Dokumente/Dokumente_Beteiligung/beteiligung_fach-und-servicestelle.pdf

51  https://beteiligungsblog.de/; https://www.bjr.de/ 

52 Beispielsweise sind an der Bildungsstrategie für den Strukturwandel [Vgl. BMWI, Eckpunkte zur Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“] in den Braunkohlerevieren in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen junge Menschen und zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligt.

53 https://www.stmas.bayern.de/partizipation/kinder-und-jugendkonferenz.php