5. Die Allgemeinen Qualitätsstandards
5.1 Zum Verständnis von Qualitätsstandards

Qualitätsstandards in dem hier anstehenden Zusammenhang sind sachliche, räumliche, zeitliche, strukturelle, verfahrenspraktische und personelle Voraussetzungen für Kinder- und Jugendbeteiligung. Damit werden zunächst zentrale Aspekte des zuvor vorgestellten Würfels aufgegriffen: Themen und Inhalte, Methoden bzw. Verfahren, institutionelle Kontexte und die beteiligten Kinder und Jugendlichen. Zugleich sind mit Blick auf den Würfel und seine Themen drei wichtige inhaltliche Ergänzungen vonnöten:

  • Erstens muss betont werden, dass nicht nur Beteiligung selbst Zeit braucht, sondern dass die Berücksichtigung der Zeithorizonte ein gerade bei Kindern und Jugendlichen zentrales Qualitätskriterium darstellt. Denn diese machen nur allzu oft die Erfahrung, dass die Umsetzung ihrer Anliegen aus ihrer Sicht viel zu viel Zeit benötigt, mit der Folge, dass ihre Beteiligung ins Leere läuft und keine erkennbaren Wirkungen erzielt.

  • Zweitens sei angemerkt, dass personelle Voraussetzungen sich einerseits auf die beteiligten Kinder und Jugendlichen beziehen; dass aber andererseits dieser Fokus nicht die Rolle der beteiligten Fachkräfte, Ehrenamtlichen und Verantwortlichen ausblenden darf. Qualitätsstandards müssen sich immer auf alle am Prozess Beteiligten und dafür Verantwortlichen beziehen.

  • Drittens ist daran zu erinnern, dass Beteiligung immer in konkreten sozialen Räumen stattfindet – und seien sie digitaler Natur, deren „Räumlichkeit“ durch die jeweils zugrunde liegenden Algorithmen definiert wird. Dies ist für die Architektur der vorliegenden Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung folgenreich: Sie unternimmt erneut den Versuch9, einerseits allgemein geltende Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu formulieren und andererseits auf der Basis der jeweiligen Fachdiskussionen spezifische, auf die jeweiligen Räume bzw. Handlungsfelder bezogene Qualitätsstandards auszuweisen. Dementsprechend ist der Hauptteil entlang von ausgewählten institutionalisierten Handlungsfeldern der schulischen und außerschulischen Fachpraxis mit Kindern und Jugendlichen gegliedert (vgl. Abs. 6 und 7).

Neben diesen inhaltlichen Ergänzungen ist der vorliegende Text durch eine weitere konzeptionelle Vorentscheidung geprägt, die sich auf den Status der Qualitätsstandards in der Praxis bezieht: Die hier vorgestellten allgemeinen wie auch handlungsspezifischen Standards sind als Impulse und als bewährte Ausgangspunkte für die Diskussion in der Praxis und für die Umsetzung bzw. Weiterentwicklung von Beteiligungsprozessen mit jungen Menschen zu verstehen. Diese dürfen deshalb nicht zu technisch gelesen werden; die Umsetzung der Qualitätsstandards ist vielmehr als ein kontinuierlicher Prozess zu betrachten. Zum anderen bedarf es immer der kontextsensiblen Anpassung und der Reflexion der Angemessenheit. Dies bedeutet auch:

Die Auseinandersetzung mit der Qualität von Beteiligungsprozessen ist selbst ein grundlegender Qualitätsstandard.

Vor diesem Hintergrund wurde auch bewusst darauf verzichtet, die Qualitätsstandards mit abhakbaren, teilweise sogar skalierten Checklisten zu unterfüttern.10 Diese Checklisten können zwar einerseits praxisentlastend wirken, andererseits aber auch leicht einen finalen Eindruck vermitteln. Beteiligungsprozesse lassen sich jedoch nicht allein durch das Abarbeiten von Checklisten gestalten, sondern brauchen auch den Prozess der ständigen Reflexion und ggf. Revision.

9 Vermieden sollten damit nicht nur – so weit wie möglich – Redundanzen bei der Beschreibung von Qualitätsstandards für die jeweiligen Handlungsfelder; zugleich soll mit dem Verweis auf allgemeine Qualitätsstandards auch sichtbar gemacht werden, dass die Debatten um die Weiterentwicklung von Qualitätsstandards von Beteiligung sich nicht in den Details der Handlungsfelder verlaufen dürfen, sondern als eine generelle Fachdebatte geführt werden müssen. Dieser doppelte Zugang lag auch schon der Vorgängerbroschüre (BMFSFJ 2015) zugrunde und wird auch in anderen handlungsfeldübergreifenden Vorschlägen zur Beschreibung von Qualitätsstandards für Beteiligung verwendet (vgl. z. B. TMBJS 2016).

10 Zu zwei interessanten, wenn auch in Bezug auf die Checklisten unterschiedlich angelegten Beispielen hierfür vgl. Schwerthelm 2020 und TMBJS 2016. Es wird zu diskutieren und ggf. zu beobachten sein, welche Implikationen damit in der Praxis verbunden sein werden, welche Revisionen ggf. vorgenommen werden (vgl. Schwerthelm 2020, S. 49) und ob und inwiefern die Art und Weise der Formulierung von Qualitätsstandards auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen, einschließlich der einfach handhabbaren Evaluationskriterien, auch auf andere Praxisfelder gewinnbringend sich übertragen lassen.