2. Begründungen für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Die Verwendung des Begriffes Beteiligung von Kindern und Jugendlichen lässt schnell außer Acht geraten, dass nicht nur die Beteiligung vielfältige Formen annehmen kann, sondern dass es auch sehr unterschiedliche Begründungen dafür gibt. In einer Expertise haben Thomas Olk und Roland Roth vor einigen Jahren die Argumente gebündelt und dabei ein bemerkenswertes Spektrum bis hin zu funktionalen – z. B. im Zusammenhang mit Prävention, Integration, Effizienz von Planungsvorhaben – und ökonomischen Argumentationen präsentiert (Olk/Roth 2007). Im Folgenden sollen die vier wichtigsten Begründungszusammenhänge kurz vorgestellt und erläutert werden.

  • Menschen- bzw. kinderrechtliche Argumentationen und gesetzliche Vorgaben: Beteiligung ist ein Kinderrecht. Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), die in Deutschland derzeit als sogenanntes „einfaches Bundesrecht“ verbindlich gilt, regelt dies in Artikel 12, Abs. 1 – wobei ergänzend an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass mit dem Begriff „Kinder“ im Kontext der UN-KRK junge Menschen bis zu einem Alter von 18 gemeint sind, also umgangssprachlich Kinder und Jugendliche. Diese Norm „enthält ein allgemeines Recht des Kindes auf Mitwirkung an Entscheidungen, die es betreffen. Sie verleiht subjektive, einklagbare Ansprüche gegen den Staat. Verpflichtet sind alle staatlichen Instanzen, die mit Kindern bzw. deren Belangen zu tun haben, insbesondere Behörden und Gerichte, aber auch Gesetzgeber“ (Wapler 2020, S. 84). Darüber hinaus enthält die UN-KRK noch eine Reihe weiterer Regelungen, die die Beteiligungsrechte von Kindern regeln. Dazu gehören vor allem die Artikel 13 (Meinungs- und Informationsfreiheit) und 17 (Zugang zu Medien; Kinder- und Jugendschutz).

    In den unterschiedlichen Rechtsbereichen (z. B. Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, Schulrecht, Gesundheitsrecht, Migrationsrecht, Strafrecht, Datenschutz etc.) werden diese Vorgaben in vielfältiger Weise konkretisiert (vgl. Richter u. a. 2020). Ein Beispiel ist das SGB VIII, das im Sommer 2021 in Form des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes reformiert wurde und weitreichende, zum Teil sehr detaillierte Vorgaben zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den jeweiligen Leistungsbereichen enthält. In der zentralen Leitnorm des Gesetzes ist festgelegt: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht hinzuweisen“ (§ 8 Abs. 1 SGB VIII). Darüber hinaus verfügen die meisten Bundesländer über eigene, zum Teil weitergehende Vorgaben zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.

    Auch unterhalb der gesetzlichen Ebene, also z. B. in Form von Verordnungen, Vereinbarungen und Satzungen, werden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten eingeräumt – ohne dass damit der Eindruck erweckt werden soll, dass die bislang vorhandenen Möglichkeiten ausreichen (vgl. hierzu detaillierter auch die Darstellungen der unterschiedlichen Praxisfelder in Abs. 6).

  • Demokratietheoretische Argumentation: Demokratische Gesellschaften sind aus vielfältigen Gründen, vor allem aber aus Gründen der Legitimität von Entscheidungen und der Machtkontrolle, neben anderem auf die Beteiligung ihrer Bürger*innen angewiesen. Auch wenn Beteiligung in den jeweiligen demokratietheoretischen Konzepten unterschiedlich gefasst und gewichtet wird, auch wenn es Kontroversen über den Stellenwert unterschiedlicher Formen von Beteiligung, z. B. im Hinblick auf die Stärkung plebiszitärer Elemente, der Rolle außerparlamentarischer Proteste oder den Wandel der Rolle der Volksparteien gibt, so ist unstrittig, dass Demokratie voraussetzt, dass sie praktiziert wird, und das heißt, dass demokratische Willensbildung stattfindet. Dies ist nur möglich, wenn die Bedingung freier und gleicher Entscheidungsbeteiligung erfüllt ist. Umgekehrt sehen nicht wenige Demokratietheorien mit guten Gründen mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten im politischen Raum als eine Ursache für politisches Desinteresse und die Ablehnung von Demokratie.

  • Bildungstheoretische Begründungen: Eng mit diesem Verständnis von Demokratie verbunden, ist die Betonung politischer Bildung – gerade auch im Blick auf Jugendliche, seit jüngerem endlich auch auf Kinder. Zuletzt hat vor allem der 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung diese Zusammenhänge deutlich gemacht und für eine Stärkung politischer Bildung im Horizont der gesellschaftlichen Herausforderungen von Demokratien, wie etwa dem Klimawandel, der Migration, der Globalisierung, der Digitalisierung, aber auch an Bedeutung gewinnender demokratiedistanter und -feindlicher Bewegungen, plädiert (Deutscher Bundestag 2020). Dabei betont die Sachverständigenkommission, dass einerseits Demokratie auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen angewiesen ist, dass aber auch „Partizipation in der Demokratie […] geübt und erfahren werden [muss]. Aber Beteiligung lässt sich nicht simulieren. Kinder und Jugendliche benötigen Bildungsangebote in Bildungsräumen, in denen sie wertgeschätzt werden und die sie ernsthaft mitgestalten können […]. Räume, die Selbstorganisation, gemeinschaftliche Gestaltung und (Mit-)Verantwortung sowie demokratische Aushandlungsprozesse im Sinne von „Mitwirkung mit Wirkung“ ermöglichen, sollen erhalten und unterstützt werden […]“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 567f.). Es bedarf also entsprechend gestalteter Angebote, die neben der Vermittlung von Information und Wissen („Demokratie als Bildungsgegenstand“) praktische Erfahrungen in Demokratie und Beteiligung ermöglichen („Demokratie als Bildungsstruktur“) und entsprechende politische Selbstprozesse anregen („Demokratie als Erfahrung“) (Deutscher Bundestag 2020, S. 128ff.).

  • Dienstleistungstheoretische Begründungen: Jenseits dieser im engen Zusammenhang von Demokratie gedachten Argumentation sei kurz darauf hingewiesen, dass Beteiligung noch aus einem ganz anderen Grund ein unverzichtbares Moment jeder pädagogischen Praxis darstellt: Pädagogische Praxis ist im Kern darauf angewiesen, dass ihre Adressat*innen im elementaren Sinne des Wortes mitmachen. Sie basiert also auf Beteiligung und Mitwirkung. Der Sache nach gilt das für alle pädagogischen und bildnerischen Angebote sowie für nahezu alle personenbezogenen Dienstleistungen. In der Fachdiskussion um diesen Typ von Arbeit wurde dafür der Begriff der Ko-Produktion verwendet. Genau in diesem Sinne versteht der 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung „die Lernenden, die zu Erziehenden, die Kinder und Jugendlichen nicht als mehr oder minder passive „Konsumenten“ eines Bildungsvorgangs, sondern als aktive „Ko-Produzenten“ […]. Diesem Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass erfolgreiche Bildungsprozesse vor allem in einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand und der Lernumwelt zustande kommen. Zugespitzt formuliert: Ohne die Lernenden und ihre aktive Rolle geht gar nichts“ (Deutscher Bundestag 2005, S. 341).