1. Einleitung

Kinder und Jugendliche sind Expert*innen in eigener Sache. Für sie selbst ergeben sich prägende und wertvolle Erfahrungen der Selbstwirksamkeit, wenn sie in Entscheidungen einbezogen werden. Vor allem lassen sich aber die Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen bei der Gestaltung unserer gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft durch keine andere Perspektive ersetzen. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in allen Fragen, die sie betreffen, trägt somit zu einer besseren Entscheidungsfindung bei und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie.

Zugleich ist die Beteiligung junger Menschen jedoch ein offenes Projekt, das im Horizont des gesellschaftlichen Wandels der ständigen Überprüfung des Erreichten und der Weiterentwicklung bedarf. Als im April 2006 der Nationale Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ erschien, markierte dies einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung. Ein weiterer, bis heute bedeutsamer Meilenstein folgte im Jahr 2009, als die „Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“ erschienen (BMFSFJ 2015). Mehr als zehn Jahre später ist es an der Zeit, einen Schritt weiterzugehen. Vor diesem Hintergrund haben sich der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Familie (BMFSFJ) der Aufgabe angenommen, praxisnah mit Blick auf unterschiedliche Räume des Aufwachsens Standards der Qualität von Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu benennen. Unter Beteiligung von Expert*innen aus den unterschiedlichen Handlungsfeldern, aus Wissenschaft, Politik und Interessenvertretungen junger Menschen sowie anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden die bisherigen Vorschläge ergänzt und mit Blick auf Qualitätsstandards fokussiert. In der Summe hat dies einerseits zu einer erkennbaren Erweiterung der aufgenommenen Praxisfelder und andererseits zu spezifischen Schwerpunktsetzungen geführt.

Der damit angestrebte Impuls zur Weiterentwicklung und Qualifizierung von Beteiligungsformaten mit jungen Menschen ist Teil des „Nationalen Aktionsplans für Kinder- und Jugendbeteiligung“ (NAP) zur Weiterentwicklung der Jugendstrategie der Bundesregierung. Die Jugendstrategie ist ein ressortübergreifender Ansatz mit dem Bekenntnis der Bundesregierung zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für die junge Generation. Es geht darum, junge Menschen und ihre Interessen mitzudenken und sichtbar zu machen. Mit dem neuen NAP für Kinder- und Jugendbeteiligung wird nun ein besonderer Schwerpunkt darauf gelegt, ihre Beteiligungsmöglichkeiten zu stärken. Teil der Jugendstrategie der Bundesregierung ist die Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland. Als integraler Bestandteil wird damit der Tatsache Rechnung getragen, dass auch europäische und globale Entscheidungen Auswirkungen auf junge Menschen haben und dass auch mit Blick auf diese Bereiche die Beteiligung junger Menschen zu stärken ist.

Beteiligung von jungen Menschen wird heute bereits in vielerlei Zusammenhängen praktiziert. Dabei kann Beteiligung – je nach Kontext – sehr unterschiedliche Formate annehmen. Unstrittig ist, dass es für die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wie für alle anderen Handlungsansätze in der Arbeit mit jungen Menschen nachvollziehbarer Qualitätsstandards bedarf. Zugleich zeigen die Fachdebatten und vielfältigen Erfahrungen, dass man sich zwar mittlerweile auf einige allgemeine Qualitätsstandards einigen konnte (vgl. Abs. 4)1, dass aber das „Herunterbrechen“ dieser allgemeinen Anforderungen an Beteiligung auf die jeweiligen Konstellationen vor Ort und Kontexte immer wieder Schwierigkeiten bereitet und nicht formal gelöst werden kann. Gelingende Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen erfüllt sich eben nicht im Abarbeiten formaler Qualitätsstandards. Sie kann nur gelingen, wenn diese situativ, d. h. sach-, themen- und kontextbezogen, verfahrenspraktisch, raum-, zeit- und struktursensibel mit Blick auf die jeweils zu beteiligenden Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen adaptiert und einverwandelt werden. Das darin angelegte Spannungsverhältnis zwischen allgemeinen Qualitätsstandards und konkreten Handlungskontexten wird auch in den vorliegenden Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung sichtbar, während sie zugleich darauf abzielen, praxisnah die einschlägige Diskussion zu bündeln und Impulse für die Weiterentwicklung zu liefern.

Die Abschnitte für die jeweiligen Handlungsfelder (Abs. 6, 7 und 8) wurden dabei unter Einbeziehung von Expert*innen aus den jeweiligen Bereichen verfasst. In den pädagogischen und politischen Handlungsfeldern (vgl. Abs. 6 und Abs. 7) findet Beteiligung sowohl in analoger als auch digitaler Form statt. Ein eigener Abschnitt (Abs. 8), auch um die aktuelle und zukünftige Bedeutung dieses Themas hervorzuheben, befasst sich deshalb mit der Diskussion um Qualitätsstandards im Kontext von digitaler Beteiligung bzw. E-Partizipation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dem vorangehend werden im Abschnitt 2 kurz die zentralen Begründungsansätze für Beteiligung von jungen Menschen zusammenfassend vorgestellt, um darauf in das im Folgenden zugrunde liegende Verständnis von Beteiligung (Abs. 3) bzw. in die leitende Heuristik einzuführen. Der Abschnitt 5 widmet sich dann den allgemeinen Qualitätsstandards.

Die hier vorgenommene Fokussierung auf Qualitätsstandards der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den genannten Handlungsfeldern macht zwei Ergänzungen notwendig. Erstens ist die Liste der hier in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückten Handlungsfelder keineswegs vollständig und exklusiv. Auch wenn im Vergleich zur Vorgängerbroschüre das Spektrum der Handlungsfelder deutlich erweitert wurde, so sind doch zugleich noch weiße Flecken zu konstatieren. Bei der Weiterarbeit an dem Thema wird es deshalb darauf ankommen, die Debatten um Qualitätsstandards der Beteiligung vor allem für die Bereiche betriebliche und berufsschulische Bildung, Übergangssystem, Eingliederungshilfe, aber auch z. B. Hochschule oder Gesundheitssystem, voranzutreiben. Zu diskutieren wird auch sein, ob man neben den Handlungsfeldern zusätzlich zentrale Verfahren, z. B. der Planung im Sozialraum, der individuellen Bedarfsfeststellung, der Beschwerde u. ä., eigens in den Blick nimmt. Die vorliegenden Qualitätsstandards für Kinder und Jugendbeteiligung verstehen sich also in dieser Hinsicht als ein Meilenstein, dem weitere folgen müssten.

Zweitens bringt es die Konzentration auf die Qualitätsstandards mit sich, dass die politischen Debatten um bestehende und ggf. zu erweiternde bzw. durchzusetzende Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen hier nicht systematisch aufgegriffen werden. Der Zusammenhang ist allerdings klar: Beteiligung kann die in sie gesetzten Erwartungen – z. B. hinsichtlich Demokratisierung, gesellschaftlicher Integration und politischer Bildung – nur dann erfüllen und aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen nur dann als sinn- und wirkungsvoll erfahren werden, wenn ihnen möglichst früh die Mitgestaltung an Entscheidungen ermöglicht wird. Deshalb setzen die hier vorgelegten Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung voraus, dass an vielen Stellen zukünftig die Erweiterung der verbindlichen Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen notwendig sein wird. Dazu gehört allem voran die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Zu nennen sind aber auch die Kommunalverfassungen. Die Umsetzung des Rechts auf Beteiligung sollte Pflichtaufgabe der Kommunen werden. Durch eine Änderung bzw. Ergänzung in den Gemeinde(ver)ordnungen sollte die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden kommunalen Entscheidungen verbindlich werden, wozu auch gehört, die bisherigen „Kann-/Soll-Bestimmungen“ hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu überprüfen – zumal die Erfahrungen zeigen, dass „Muss-Bestimmungen“ offenbar eine höhere Verbindlichkeit mit sich bringen. Die Erweiterung und Verbindlichmachung von Beteiligungsrechten betrifft allerdings nicht nur den politischen Raum, sondern z. B. auch die Schule und andere pädagogische Räume. Die Debatten um den Stellenwert der Kinder- und Menschenrechte und die Frage, wie man diesen in allen Bereichen der Gesellschaft mehr Nachdruck verleihen kann, machen deutlich, dass es hier noch erheblicher gesellschaftlicher Verständigungen und politischer Anstrengungen bedarf.

Vor diesem Hintergrund sollen die Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kombination aus allgemeinen Qualitätsstandards und praxisorientierten Beiträgen wirksame und zeitgemäße Beteiligungsprozesse innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen ermöglichen, zur Entwicklung weiterer Beteiligungskonzepte anregen und somit insgesamt dazu beitragen, die Möglichkeiten für wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung in unserer Gesellschaft auch in den kommenden Jahren weiter auszubauen und voranzutreiben. Parallel dazu bleibt es eine politische Debatte und Herausforderung, Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen zu erweitern.

1 Es sei allerdings angemerkt, dass im Detail bemerkenswerte Differenzen zwischen den verschiedenen in der Fachdiskussion antreffbaren Konzeptionen zu beobachten sind – was u. a. aber auch mit dem Verständnis dessen zu tun hat, was ein einschlägiger Qualitätsstandard ist.