6.4.7 Jugendsozialarbeit

Jugendsozialarbeit begleitet und fördert junge Menschen bis zum Alter von 27 Jahren mit sozialpädagogischen Hilfen, die aufgrund sozialer Benachteiligung oder individueller Beeinträchtigungen temporär oder dauerhaft in der Familie und/oder im regulären Schul- und Ausbildungssystem nicht die notwendige Unterstützung erhalten. Gerade für diese jungen Menschen am Übergang zum Erwachsenwerden sind das Erleben von Beteiligung, die Anerkennung und Berücksichtigung ihrer Wünsche, ebenso wie die Wertschätzung ihrer Fähigkeiten von hoher Relevanz.

Die Handlungsfelder der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII zeichnen sich durch ein breites Spektrum von Trägern und Angeboten aus.34 Verbunden sind damit schon innerhalb der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sehr heterogene institutionelle Rahmenbedingungen für Beteiligung; viele Angebote sind darüber hinaus durch kooperative institutionelle Rahmenbedingungen und Förderstrukturen geprägt, die durch ihre fachliche Fokussierung oftmals wenig beteiligungsorientiert angelegt sind. Beispielsweise ist die Jugendberufshilfe, so weit sie förderrechtlich zwischen den SGB II, III und VIII umgesetzt wird, ausgerichtet auf den Aspekt der Arbeitsförderung und beruflichen Integration – mit der Folge, dass Beteiligung – wenn überhaupt – meist nur eine darauf bezogene funktionale Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund hat z. B. der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit 2021 in einem Positionspapier die „jugendgerechte Weiterentwicklung von Jugendberufsagenturen“ gefordert und dabei auch „eine Stärkung der Beteiligung der Jugendhilfe vor Ort [als] eine wichtige Voraussetzung“ angemahnt (Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit 2021a, S. 2).

Ähnliche Herausforderungen stellen sich in einigen Bereichen der Schulsozialarbeit. Die mit dem 2021 verabschiedeten § 13a im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz als sozialpädagogisches Angebot der Kinder- und Jugendhilfe nun ausdrücklich normierte Schulsozialarbeit kann im Rahmen der Landesgesetzgebung im Schulsystem verankert werden – und man wird abwarten müssen, was dies im Hinblick auf die Beteiligungschancen von Kindern und Jugendlichen bedeutet.

Im Kontext der Jugendsozialarbeit, deren Zielgruppen häufig durch multiple Problemlagen geprägt sind, hat die Förderung und Begleitung von Beteiligungsprozessen durch Fachkräfte eine hohe Bedeutung. Dies wirkt sich unmittelbar darauf aus, welche Erfahrungen mit Beteiligung junge Menschen in den Angeboten machen. Gleichzeitig erfordert solches Arbeiten eine hohe Reflexionsfähigkeit von den pädagogischen Fachkräften. Eine beteiligungsorientierte Haltung zu entwickeln, eigene Überzeugungen infrage zu stellen und die argumentative Artikulation als rhetorische Fähigkeit bei den jungen Menschen zu befördern, gehört zu den Herausforderungen einer professionellen Jugendsozialarbeit, ebenso wie Sprachbarrieren und habituelle Unterschiede. Veranstaltungen im virtuellen Raum, einfache Sprache oder begleitende Unterstützungsstrukturen vor Ort können bei der Bewältigung helfen. Begründete Entscheidungen der jungen Menschen zu akzeptieren, ihre Argumente ernst zu nehmen, bedeutet auch, eigene Ansätze zu hinterfragen mit Blick auf Tendenzen zu Alibi-Beteiligung oder gar Instrumentalisierung der jungen Menschen zur Rechtfertigung eigenen Handelns (vgl. AWO 2015). Voraussetzung dafür sind entsprechende institutionelle beteiligungsorientierte Settings und Einrichtungskulturen bzw. Prozesse der Organisationsentwicklung.

Junge Menschen sprechfähig und ihre Stimmen hörbar zu machen als Expert*innen ihrer Lebenssituation ist Auftrag und Ziel der Jugendsozialarbeit. Beteiligung junger Menschen in der Jugendsozialarbeit intendiert bewusst politische Außenwirkung und traut allen jungen Menschen zu, Jugendpolitik mitzugestalten. Dafür braucht es politische Bildung als festen Bestandteil der Jugendsozialarbeit. Politische Bildung in den Angeboten der Jugendsozialarbeit versteht sich als Befähigung junger Menschen, sich mit ihren Lebenswelten und den gesellschaftlichen Bedingungen auseinanderzusetzen sowie sich an deren Gestaltung zu beteiligen (vgl. Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit 2021 b).

Qualitätsstandards

  • Die Zugänge zu Beteiligungsstrukturen sind für die jeweiligen Gruppen benachteiligter junger Menschen adressat*innengerecht und in wahrnehmbarer Form vorhanden und erreichbar.
  • Junge Menschen werden umfassend und möglichst barrierefrei zu ihren Beteiligungsrechten und -möglichkeiten im Rahmen der Angebote der Jugendsozialarbeit informiert.
  • Die Entwicklung und Ausgestaltung von Angeboten der Jugendsozialarbeit in ihren jeweiligen Handlungsfeldern erfolgt unter Beteiligung der Adressat*innen.
  • Im Rahmen der Einrichtungen der Jugendsozialarbeit existieren frei gewählte Teilnehmenden-Vertretungen.
  • Die Qualifizierung und Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte für die beteiligungsorientierte Prozessbegleitung ist gewährleistet.
  • Mit Kooperationspartnern werden Beteiligungsstrategien erarbeitet und so weit wie möglich realisiert.
  • Die Einbeziehung der Expertise der Zielgruppen der Jugendsozialarbeit in die Entwicklung und Evaluation von Beteiligungsformaten ist sichergestellt.
  • Förderstrukturen in der Jugendsozialarbeit werden beteiligungsorientiert gestaltet; dies gilt insbesondere für die Rechtskreise, auf deren Basis Leistungen in Kooperation mit der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII erbracht werden.
  • Die strukturelle Verankerung von Beteiligung als Qualitätsstandard für die Jugendsozialarbeit erfolgt auf allen föderalen Ebenen und ist Grundvoraussetzung dafür, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und dauerhaft zu implementieren. Dazu gehört neben der bundes- und landesrechtlichen Normierung der Beteiligungsrechte und der konzeptionellen Verankerung im Rahmen der Angebotsgestaltung auf Einrichtungsebene auch die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für die Umsetzung.

34 Zu nennen sind beispielsweise die verschiedenen Angebote der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe, der schulbezogenen Jugendsozialarbeit, der adressat*innenbezogenen und mobilen Ansätze der Jugendsozialarbeit- inklusive Streetwork, das Jugendwohnen, die Jugendmigrationsdienste (vgl. Pingel 2018; Oehme 2016).